FRISCHE TRAUMAS
Bis ich das erste Mal nach Bagdad reisen konnte, war der Aufstand vorbei. Covid hatte auch die letzten verbleibenden Leute von den besetzten Plätzen in die Isolation geschickt. Doch der Aufstand steckte noch allen in den Knochen: der Jugend, der Stadt, dem Regime.
Ich reiste zu A. nach Bagdad und wusste nicht, was auf mich zukommen würde. Bagdad hat noch immer den Ruf, eine der gefährlichsten Städte der Welt zu sein. Es gibt zwar keine Autobomben und Strassenschlachten mehr. Aber die politische Situation ist instabil. Aktivist:innen leben weiterhin gefährlich.
Ich wohnte während meines Besuchs bei A. im Zentrum. Gemeinsam trafen wir viele Aktivist:innen der “Oktober Revolution”. Die Hoffnungen, aber auch die Wunden und Traumata waren noch frisch. Für einige war der Aufstand vorbei, für andere hatte es erst begonnen. Aber eines hat sie alle vereint:
«Wir haben gelernt, Nein zu sagen. Zu unseren Eltern, zur Regierung, zur Gewalt, zum Imperialismus, zur Korruption!» In einem Staat, in dem die Angst jahrelang regiert hat, ist das ein grosser Schritt. Die Jugend vibrierte vor Kreativität.
Khalilis Vertrauen
Ich suchte nach Protagonisten, die die “Oktober Revolution” selber dokumentiert hatten. Eine junge Fotografin gab mir eine Liste mit Kontakten und so lernte ich Khalili kennen. 70 Stunden Videomaterial hatte der damals 22-jährige Demonstrant während der Aufstände aufgenommen. Mitten aus dem Herzen der Revolution. Ungefiltert – Personal Point of View.
Nach langen Gesprächen überreichte er mir die Harddisk mit dem gesamten Material. Seine Hoffnung: eine ausländische Filmemacherin könnte der Welt die wahren Ereignisse zeigen. Er setzte auf uns. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich weder eine Produktionsfirma noch Geld. Sein außerordentliches Vertrauen war der Anfang dieses Films.